Runenlieder – magische Gesänge

Runenlieder – magische Gesänge

Beschwörende Gesänge aus Finnland, Russland und Estland

Bei meinen Vorbereitungen für den heutigen Artikel bin ich eingetaucht in eine alte, magische Welt, in der die Menschen eine starke Bewusstheit über die Wirkung ihrer Handlungen in ihrer direkten Umgebung hatten. Eine archaische Welt, in der alle Arbeit von Hand geschah und begleitet wurde von einfachen und eindringlichen Gesängen. Ich spreche von der finnisch-ugrischen Tradition der Runenlieder – Runolaulu genannt. Beschwörende Worte, Arbeitslieder, alte Mythen oder abends vorm Feuer sitzend improvisierte Verse über das am Tage Erlebte.


Zum ersten Mal in Berührung gekommen mit der Tradition der Runenlieder bin ich vor vielen Jahren durch die CD Karelia Visa von der schwedisch-finnischen Gruppe Hedningarna. Diese Musik hat mich bis ins Mark getroffen. Das war mein erster Kontakt mit Runenliedern, auf finnisch heißen sie „Runolaulu“. Das Wort „runo“ bedeutet soviel wie „Gedicht“ oder „Poesie“, kann aber auch im Sinne von „Beschwörung“ verstanden werden. Es handelt sich um eine uralte finnische Gesangstradition, die überall dort noch gepflegt wird, wo sich finnischsprachige Menschen befinden. Also auch in Teilen von Russland und in Estland.

Was genau sind Runenlieder?

Die finnisch-ugrischen Runenlieder sind nicht zu verwechseln mit den Runenliedern, die rund um die nordischen Schriftzeichen gedichtet wurden. Davon gibt es inzwischen auch viele und sie kursieren oft in neuheidnischen Kreisen. Die „Runolaulu“ sind meist Arbeitslieder, manchmal sehr alte Erzählungen, alte Lyrik und vielfach auch beschwörende Verse, die begleitend zu magischen Handlungen rezitiert wurden. Sie werden meist a capella gesungen oder von der finnischen Leier, der Kantele begleitet. Der Rhythmus passt sich an die Versform der Worte an, die Melodie umfasst oft nicht mehr als fünf Töne und die Phrasen wiederholen sich stetig. Sehr oft gibt es einen Vorsänger und Nachsänger. Diese Form zu Singen erzeugt eine hypnotische Stimmung, die einen sofort in ihren Bann ziehen kann.

Hier ein sehr schönes Beispiel dafür, mit übersetztem Text und fantastischen Landschaftsaufnahmen:

 

Die „Kalevala“

Die uralte Tradition der Runengesänge hat sich im heutigen Finnland, Estland und Russland erhalten. Am besten jedoch in der Region Karelien, einem Gebiet westlich und östlich der heutigen Grenze zwischen Finnland und Russland. Im 19. Jahrhundert sammelte dort der Arzt Elias Lönnrot die besten Liedvarianten und fasste sie 1835 zum finnischen Nationalepos, der „Kalevala“ zusammen. Damals gehörte Karelien zum russischen Zarenreich. Für die kulturelle Identität der Finnen ist die „Kalevala“ unheimlich wichtig. (Link mit Infos über Karelien)

Damit Du einen Eindruck von Versen der Kalevala bekommst, hier wieder ein Hörbeispiel. Auch diesmal mit eingespieltem Text in englischer Übersetzung:

 

Lieder aus der Luft – die estnischen „Regilaul“

Im für seine Gesangskunst bekannten Estland hat sich die Tradition der Runenlieder in Form der „Regilaul“ erhalten. In ihrem Film „Lieder aus der Luft“ führt die Regisseurin Ulrike Koch auf eine musikalische Reise zwischen Schamanismus und Moderne.

Dieses Zitat von der Webseite des Films finde ich sehr aussagekräftig:

„Die auf acht Silben basierenden Regi-Lieder (Regilaul) entstammen dem alten finnisch-ugrischen Weltbild und sind Nährboden für die über die Landesgrenzen hinaus berühmte estnische Gesangskultur. Ihr eindringlich monotoner Klang besitzt geheimnisvolle Kraft und beflügelt zur Auseinandersetzung mit fremden, auch unsern Wurzeln und demonstriert Formen adäquater Umsetzung von Altem in Neues. In Zeiten elementarer Veränderung, die für viele mit dem Verlust von Identität einhergeht, betrifft die Frage, wie man sich in diese Welt einbringen kann, das Selbstverständnis und die eigene Identität. Das im Film beschriebene Land mit seinen Menschen erweist sich als ein Kraftfeld, das dieses außergewöhnliche Gewebe zwischen Natur, Mensch und Lied zur Darstellung bringt und lädt ein zu einer spannenden und schließlich lohnenden Auseinandersetzung.“

 

Was nehmen wir aus dieser magischen Welt mit in unseren Alltag?

Mich hat dieser kleine Ausflug in die archaische Welt der Runenlieder tief berührt und auch beflügelt. Wie empfindest Du diese uralte Musik? Schreib mir gerne dazu einen Kommentar. Dieses Leben zusammen mit der Natur, diese Einfachheit und Verbundenheit der Menschen von früher können uns viel zeigen und beibringen. Vielleicht hast Du Lust bekommen, Deinen Balkon oder Garten zu bepflanzen. Oder Du kannst den nächsten Waldspaziergang kaum erwarten. Vielleicht möchtest Du auch mal erforschen, welche Wirkung Worte, die ständig wiederholt werden, auf Deine Stimmung und Deinen Tag haben können. Dazu kommt garantiert in Zukunft noch ein Artikel von mir. 😉

Immer wieder, wenn ich mich mit alten Liedtraditionen beschäftige, sehe ich die großen Ähnlichkeiten zwischen den Kulturen und den Lebensweisen der Menschen vor tausend oder zweitausend Jahren. Davon erzählt auch mein Artikel über schottische Musik und die Sängerin Julie Fowlis. Über alle Ländergrenzen und unterschiedlichsten Formen der Musik hinweg spüre ich dieses tiefe Bedürfnis der Menschen nach Tönen, Melodien und Rhythmus als starken und magischen Ausdruck. Und wer kann sich schon dieser Kraft entziehen, die uns Menschen über Zeit und Raum hinweg miteinander verbindet?

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